Warum „Stark bleiben“ nichts mit Resilienz zu tun hat – Wie du Stress wirklich regulierst
Wenn „Stark bleiben“ nicht mehr funktioniert
Gründerin eines Unternehmens im ersten Jahr zu sein, bedeutet: ständig präsent sein. Bei Events, in Meetings, vor Kunden, auf Social Media – im Grunde überall, wo man ein kleines Stück Aufmerksamkeit ergattern kann.
Und gleichzeitig bedeutet es, dieser Idee Leben einzuhauchen, die du in deinem Kopf geboren hast. Du willst zeigen, warum sie wichtig ist, Menschen überzeugen, dass sie sehen, was du siehst. So erfüllend das ist – es bedeutet auch: ständig funktionieren. Und immer noch ein bisschen mehr.
Weil es ja „dein Ding“ ist, fühlt es sich fast undankbar an, Pause zu machen. Ich war so dankbar, mein eigenes Ding machen zu dürfen, dass ich dachte: Resilienz heißt Durchhalten. Und noch mehr Durchhalten. Mit breitem Lächeln und verkrampftem Kiefer.
Wusstest du, dass man etwas lehren kann, während man selbst völlig darin scheitert? Ich weiß es jetzt. Denn als Jahr eins vorbei war, bin ich zusammengebrochen.
Und ich habe gelernt: Echte Resilienz bedeutet nicht, unerschütterlich zu sein. Denn selbst der stabilste Baum kann irgendwann brechen, wenn der Sturm nur stark genug ist.
Der Mythos vom „Starksein“
„Bleib stark.“
„Lass dich nicht unterkriegen.“
„Reiß dich zusammen.“
Aber die Wahrheit ist: Das, was wir oft Stärke nennen, ist in Wirklichkeit nur Aushalten. Wenn Stress chronisch wird, bekommt dein Nervensystem keine Pausen mehr. Dein Körper produziert dauerhaft Stresshormone (hallo Cortisol), deine Verdauung verlangsamt sich, dein Schlaf wird unruhig – und deine Emotionen gehen auf Standby.
Das Tückische daran: Nach außen siehst du völlig „funktional“ aus. Du arbeitest, lachst, postest vielleicht sogar noch auf LinkedIn, während du innerlich langsam ausbrennst.
Wir haben emotionale Unterdrückung mit Resilienz verwechselt. Aber Gefühle wegzudrücken macht dich nicht stark. Es trennt dich von den Signalen, die dir eigentlich sagen, was du brauchst.
Was echte Resilienz ausmacht
Jetzt wird’s wissenschaftlich:
Dein parasympathisches Nervensystem ist sozusagen dein eingebauter „Beruhigungsschalter“. Er aktiviert sich, wenn dein Körper merkt: Du bist in Sicherheit. Dann verlangsamt sich dein Atem, dein Herzschlag stabilisiert sich – und dein Körper signalisiert: Alles gut, du kannst dich erholen.
Der Neurowissenschaftler Dr. Stephen Porges nennt das das soziale Engagement-System: Wenn du dich sicher fühlst, öffnet sich dein Körper – und du kannst dich verbinden, lachen, atmen. Deshalb beruhigt dich das Gespräch mit einem ruhigen Menschen so schnell.
Wie Dr. Lisa Feldman Barrett beschreibt, bewertet dein Gehirn ständig anhand deiner Körpersignale, wie sicher du bist. Wenn dein Körper sich sicher fühlt, erscheint dir auch die Welt weniger bedrohlich.
Sicherheit ist also kein abstraktes Konzept.
Sicherheit ist ein physischer Zustand.
Bottom-Up: Der Körper zuerst
Wenn du überfordert bist, ist es verlockend, dich rauszudenken: Eine neue To-Do-Liste schreiben, positiv denken, alles reframen. Aber dein Nervensystem spricht keine Sprache. Es spricht Empfindung.
Wenn dein Herz rast oder dein Atem flach ist, bekommt dein Gehirn nur eine Botschaft: Gefahr. Und kein Gedanke der Welt kann dich beruhigen, solange dein Körper sich nicht sicher fühlt.
Was hilft konkret:
- Verlängere deine Ausatmung. Sie aktiviert die natürliche Stressbremse deines Körpers.
- Benenne fünf Dinge, die du im Raum sehen kannst. Sensorische Wahrnehmung erdet dich.
- Bewege dich – schütteln, dehnen, spazieren. Das hilft deinem System zu resetten.
- Suche Co-Regulation: Menschen, deren Ruhe sich auf dich überträgt.
Das ist wie eine Nachjustierung deines inneren Rauchmelders: Du trainierst ihn darauf, dass nicht jeder kleine Reiz ein Feuer ist.
Stärke neu definieren
Uns wurde beigebracht, Stärke heißt: nicht zusammenbrechen. Aber echte Stärke bedeutet, flexibel zu reagieren.
Manchmal bedeutet das: eine Pause zu machen statt weiter zu pushen. Manchmal heißt es: „Ich melde mich, wenn ich wieder Kapazität habe.“ Manchmal bedeutet es einfach: annehmen, statt erklären.
Resilienz heißt nicht, keinen Stress zu haben. Sondern dich von Stress zu erholen, ohne dich selbst zu verlieren.
Du musst kein Baum sein, der allem trotzt. Sei lieber wie Bambus – flexibel, biegsam, und genau deswegen so stark.
Wenn dein Körper auf die Bremse tritt, ist das kein Zeichen von Schwäche. Dein System tut genau das, wofür es gebaut wurde: dich schützen.
Es ist ein Signal. Hör hin.
Referenzen
Barrett, L. F. (2017). How Emotions Are Made: The Secret Life of the Brain. Houghton Mifflin Harcourt.
Porges, S. W. (2011). The Polyvagal Theory: Neurophysiological Foundations of Emotions, Attachment, Communication, and Self-Regulation. W. W. Norton & Company.
Ogden, P., Minton, K., & Pain, C. (2006/2021). Trauma and the Body: A Sensorimotor Approach to Psychotherapy. W. W. Norton & Company.
Quadt, L., Garfinkel, S. N., & Critchley, H. D. (2018). Interoception and emotion: Shared mechanisms and clinical implications. Annual Review of Clinical Psychology.